Schlomos Feuilleton #04

Die Landkarte ist nicht die Landschaft

Transparenz

Einer dieser Begriffe…: „Transparenz“. Was ist das eigentlich? Im allgemeinen werden Dinge als transparent bezeichnet, durch die man hindurchsehen kann, die man aber dennoch sieht, wie zum Beispiel ein Negligé, oder ein Lampenschirm, der vielleicht sogar nur durchscheinend ist. Eine Sonnenbrille ist transparent, oder ein Farbfilter vor einer Kamera. Transparenter ist natürlich Glas. Man sieht es kaum, wenn man hindurch sieht. Wasser ist zu einem gewissen Grade transparent, wenn es aus der Leitung kommt und nicht zum Beispiel aus der Elbe.  Noch transparenter ist natürlich Luft und dann Vakuum erst. Am allerallertransparentesten ist aber das Nichts. Nichts ist so transparent, dass es einem den Blick nicht verstellen kann.

Den Blick auf was?

Der Trend zur persönlichen Transparenz ist ungebrochen. Niemals zuvor war es so leicht, über jeden einzelnen etwas bekannt zu machen. Empirisch werden wir vermessen, und die Daten in Datenbanken abgelegt. Diese Daten kann man vielfach und nützlich verwenden. Es ist bequemer, wenn ich nicht in eine Bibliothek gehen muss, sondern jedes Buch der Welt jederzeit im Internet lesen, und wenn nicht dort dann mit einem Klick bestellen kann. Es ist praktisch, wenn mein Arzt weiß, wie mein Blutdruck zu jeder Zeit ist. Es ist einfacher, wenn ich mich nicht umständlich legitimieren muss, sondern einfach nur eine Nummer irgendwo eintippe, die mit meinen Daten verknüpft ist, die irgendwo am anderen Ende des Kabels abgelegt sind.  Es bedeutet, dass jeder, bei dem man vorspricht, glaubt, bereits zu wissen, wer man ist. Bevor auch nur ein Wort gesprochen ist.

Mehr Transparenz!

Der Schrei nach mehr Transparenz ist dem Irrtum geschuldet, man könnte in den Daten irgendetwas erkennen, was vorher nicht da war, oder im Verborgenen lag, oder gar verheimlicht wurde. Wir stellen uns also vor, jeder könnte alles über jeden wissen. Es gäbe kein Geheimnis mehr. Wie würde das gehen? Wie würde dies dann in einer konkreten Wirklichkeit aussehen? Man würde nicht mehr den Menschen betrachten, sondern auf einem Gerät nachschauen, weil auf jenem die unbezweifelbare Wahrheit über den Gegenüber stünde und nicht in Form von unbezweifelbar lebendiger Materie und zweifelhafter Persönlichkeit. Die Person wäre transparent. Es wäre nichts mehr von ihr übrig, was einem den Blick auf ihr wahrhaftigeres, maschinelles Abbild verstellen könnte.

Die Landkarte ist nicht die Landschaft

Der Schrei nach mehr Transparenz dient der maschinellen Repräsentation und Kontrolle der Welt. Sie entsteht aus dem Glauben, man könnte alles wissen und dann jedes Problem technisch lösen und wenn man es nur lange genug macht, sich am Ende sogar selbst erlösen. Auf dem Weg dorthin übersehen diese Anhänger der Zahl, dass sie immer transparenter werden und sich am Ende in Nichts auflösen. Erlösen, Auflösen, Endlösen. Der Glaube an die Wahrheit in der Maschine ist eine gefährliche Illusion.

Keine Angst und keine Schuld

 

Links:

„Are You Looking At Too Many Infographics?“ – Marco Bagnis Arbeit „Getting Lost“

„Transparent ist nur das Tote“ – Byung-Chul Han in „Die Zeit“

„The Man with the X-Ray Eyes“ –  Roger Corman, 1963

„Erstmals in der Geschichte der Menschheit sei die berechenbare digitale Persönlichkeit eines Menschen relevanter als seine reale Persönlichkeit.“  – Spiegel Online, 19.07.2013

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