Schlomos Feuilleton #06

PROPAGANDA – Eine Filmkritik

Worum geht’s? Im malerischen Städtchen Christchurch, Neuseeland, lebt der Türsteher Slavko Martinov. Er ist ein Künstler im Geheimen und montiert in seiner Freizeit acht Jahre lang einen bemerkenswerten Film zusammen: Eine breitbändige dokumentarische Analyse der westlichen Industrienationen, ihrer Ideologie und ihrer jüngeren Geschichte. Aus künstlerischen Erwägungen versteckt er diese Analyse jedoch in einem fiktionalen Rahmen. Vordergründig handelt es sich bei diesem Film nämlich um einen Nordkoreanischen Propagandafilm über die westliche Hemisphäre, über den imperialistischen Feind.

In diesem Nordkoreanischen Propagandafilm, der optisch den gängigen Vorstellungen  von Nordkoreanischem Propaganda-Design entspricht, und so durchgehend mit koranischen Schriftzeichen und Tafeln durchwebt ist, tritt ein Nordkoreanischer Psychologe auf, der in einer Art Interviewsituation den Westen und seine Geschichte analysiert. Während wir dem Wissenschaftler beim erzählen lauschen, werden wir mit den hässlichen Bildern unserer Kultur konfrontiert: Shopping, Konsum, Krieg, Kapitalismus, Propaganda durch TV, gehirngewaschene Bevölkerungen, Werbung, die oberen 1%, die katholische Kirche, Celebrities, werden in einer aberwitzigen Geschwindigkeit und in einer sehr gekonnt manipulativen Montage von Pressebildern, News-Schnipseln, Fotografien, im weitesten Sinne ‚historischen Dokumenten‘, zu hochemotionalen, faszinierend/beängstigenden und eben deshalb propagandistischen Bilderbögen. Aber dann kommt, und spätestens jetzt fragt man sich, was will dieser Film?, die Zionistische Weltverschwörung und die Juden als die neuen Nazis. Zum Schluss werden noch fünf Minuten die Nordkoreanische Stärke zelebriert, als einzige Nation, die diesem Wahnsinn trotzt.

Das muss man erst mal sacken lassen, denn es ist formal bildgewaltig, streckenweise abstoßend, faszinierend und gleichzeitig immer unterhaltend inszeniert. Ein technisch sehr gut gemachter und sehr clever montierter Film. Aber er hinterlässt nur Fragen. Denn durch die Ambivalenz der verschiedenen Perspektiven ist absolut nicht mehr klar, was uns dieser Film eigentlich sagen will. Ist es eine Kapitalismuskritik? Oder ist es eine Rechtfertigung des Kapitalismus, weil es sich beim Dargestellten um eine kommunistisch/propagandistisch verzerrte Sicht auf den Westen handelt?

Wenn man nach der Motivation des Filmemachers fragt, wenn er in Wirklichkeit aus dem christlichen Westen stammt, sein Hauptdarsteller ein Südkoreanischer Katholik ist und er auf seine Website ‚Support Democracy‘ schreibt, dann möchte man ihm unterstellen, dass es ihm – wie jedem von uns – um die Wahrheit, um die Aufklärung der Menschen geht, um Dinge wie Freiheit, Demokratie, Frieden, Gerechtigkeit. Der Film aber stellt klar, dass diese Worte nur Slogans sind, und absolut nichts zu bedeuten haben. Und zwar – und das ist der Punkt – genau da, wo der Filmemacher kulturell zu hause ist. Der Film beraubt sich dadurch jeglicher Aussage. Das ist zwar künstlerisch brillant aber in seiner Konsequenzlosigkeit fatalistisch.

Am Ende steht das, was des künstlerischen Werkes Zweck in unserem Teil der Welt ist, nämlich die Verwertung via Internet, Klicks, Medienhype, Downloads, DVDs, also letztendlich – ich leg‘ auch noch was drauf – menschlicher Aufmerksamkeit. Schade ist, dass dies so normal ist. Subversiv ist, dass dieser Film sämtliche Systemkritik als bedeutungslose Propaganda markiert und auf diese Weise implizit eine systemkonforme und fatalistische Beliebigkeit des eigenen Standpunktes propagiert.

Eugene Chang ist jetzt ein Celebrity.

 

Propaganda, Neuseeland 2012, Buch und Regie Slavko Martinov, mit Eugene Chang, Mockumentary, Laufzeit 95 Minuten

Propaganda in der IMDB

Spiegel Online Artikel

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert